Monatsarchiv: Juni 2024

Systemisch oder was?


An mich wurde das Ersuchen herangetragen, möglichst kurz und bündig darzustellen, welche Implikationen die systemische Theorie/systemische Theorien für meine Arbeit als systemisch-lösungsorientierter Berater haben. Ob ich das kurz und bündig schaffen werde, sei einmal dahingestellt, aber es ist jedenfalls einen Versuch wert, selbstverständlich ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Pragmatischer Ansatz

Eingangs ist mir sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass für mich eine Theorie keinen Wert an und für sich hat, sondern diesen erst dadurch erlangt, dass sie sich in der Praxis als hilfreich erweist. Es gilt zudem: Theoretische Inhalte, Form (etwa Struktur und Setting) sowie Haltung und Menschenbild sind mehrere Seiten ein und derselben Medaille. „Ein bisschen systemisch“ geht genausowenig wie „ein bisschen schwanger“ – dies schließt integrative Ansätze keinesfalls aus, doch lassen sich hierbei auch Grenzen (vor allem hinsichtlich Haltung und Menschenbild) ziehen.

Systemisch – eine mögliche Annäherung

Stellen Sie sich vor, Sie platzieren eine Anzeige in einer Tageszeitung, um der interessierten Leserinnen- und Leserschaft den Beginn einer systemischen Konfliktbearbeitungsfortbildung kund zu tun und erhalten am Tag des Erscheinens einen Anruf, „was denn bitte genau mit einer >systematischen Meditationsausbildung< gemeint ist?“, gefolgt von mehreren erbosten Statements von Meditationslehrerinnen und -lehrern, welchen Unsinn wir uns denn da ausgedacht hätten. So geschehen kurz vor der Jahrtausendwende, vor dem großen „systemischen Hype“ in Beratung, Führung, usw. Heutzutage erkennen Rechtschreibprogramme sowohl „systemisch“ als auch „Mediation“ und korrigieren diese nicht mehr automatisch.

Seitdem hat sich einerseits viel Positives getan, andererseits hat sich dermaßen Vieles als „systemisch“ etikettiert, sodass ich mittlerweile ganz froh bin, dass diese Mode meiner Beobachtung nach langsam wieder im Abklingen begriffen ist – allmählich lässt es sich wieder unaufgeregter und ruhiger systemisch arbeiten. Zu oft habe ich in den letzten Jahren von „klassischen Maschinenmodell-Beraterinnen und -Beratern“ gehört, dass sie bei Nachfrage seitens potenzieller Auftraggeberinnen und -gebern ins Treffen geführt hätten, „das Systemische klarerweise bei Bedarf auch >drauf zu haben<“, womit häufig das Verwenden unterschiedlicher ziel- und lösungsorientierter Fragetechniken gemeint war. Gleich geblieben ist die Anforderung, die/eine Bedeutung des Wörtchens „systemisch“ so zu vermitteln, dass dazu weder eine (mehrsemestrige) Vorlesung über das Werk von Niklas Luhmann erforderlich ist noch mittels einer esoterisch anmutenden „Alles ist mit allem vernetzt“-Floskel operiert wird.

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Burnout als Konsequenz der Übernahme von Verantwortung bei fehlender Beeinflussungsmöglichkeit


Burnout lässt sich auch definieren als Ergebnis des fortgesetzten und konsequenten Versuches, Verantwortung für etwas/mehreres/vieles zu übernehmen, das man nicht oder nur in geringem Maße beeinflussen kann. Dies erscheint mir wichtig, weil eine der wesentlichen Leistungen meiner Coaching-Kundinnen und -Kunden oftmals darin besteht, für sich zu klären, ob sie ein zu bearbeitendes Thema als „Problem“ oder als „Restriktion“ (unlösbare Schwierigkeit, Rahmenbedingung) behandeln (wollen).

Beispiele für möglicherweise von Kudinnen/Kunden nicht bzw. nur in geringem Ausmaß beeinflussbare Themen: der Weltfrieden, die Erdanziehung, die volkswirtschaftliche Entwicklung, das Lebensalter – aber auch, wenn man davon überzeugt ist, dass Menschen/soziale Systeme nicht direkt instruierbar sind – das Klima im Unternehmen, das Verhalten anderer Menschen, die emotionale Befindlichkeit des Vorgesetzten, der Ehrgeiz der Kollegin, usw.

Die Bestimmung des eigenen Einflussbereichs und dessen Grenzen in Bezug auf ein bestimmtes Thema kann eine hilfreiche Burnout-Prophylaxe darstellen Auch das Umkonstruieren eines Problems in eine Restriktion/Rahmenbedingung/unlösbare Schwierigkeit aufgrund fehlender bzw. unzureichender eigener Beeinflussungsmöglichkeiten kann große Entlastung bringen (und zugleich vor Allmachtsphantasien bewahren) und zu neuen Verhaltensoptionen führen.

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Drei pragmatische Grundsätze für hilfreiches Verhalten


Eigentlich wollte ich die drei folgenden Grundsätze zunächst als solche für hilfreiche systemische Interventionen bezeichnen – jetzt hingegen möchte ich Sie Ihnen zudem als Leitlinien für die Reflexion des eigenen Verhaltens anbieten:

Grundsatz Nr. 1: Es gibt keine Probleme, bis solche sozial definiert werden

Was soll denn das nun heißen? Nun, im systemischen Denken gehen wir davon aus, dass es in der menschlichen Lebenswelt zunächst nur „Tatsachen“ gibt. Erst wenn eine solche als Problem sozial definiert wird, kann von einem Problem gesprochen werden – dabei ist es egal, von wem diese Definition stammt. Wir können also sagen, dass ein Problem eine Selbst- und/oder Fremdbeobachtungs- sowie -bewertungsleistung ist, ein Konstrukt, dass eine/n normativ bewertende/n Beobachter/in zwingend zur Voraussetzung hat.

Ein kleines Beispiel gefällig? Nehmen wir einmal an, ein Mitarbeiter macht seine Arbeit über Jahre hinweg gemäß einer bestimmten Routine und erhält dafür positives Feedback von seiner Vorgesetzten. Weit und breit kein Problem zu entdecken. Nach dem Ausscheiden dieser Führungskraft hat sein neuer Vorgesetzter andere Ansprüche an den Mitarbeiter hinsichtlich Flexibilität und Arbeitsauffassung. Es wird eine Soll-Ist-Differenz konstruiert, womit ein Problem sozial definiert wird.

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