Die „richtigen“ Fragen?
Wenn wir Coaches im Rahmen einer systemisch-lösungsorientierten Beratung Fragen stellen bzw. andere Interventionen setzen, dann intendieren wir dabei nicht etwa das Auffinden der „richtigen“ Frage, denn das wäre auf Basis unseres systemischen Erkenntnishorizonts einerseits unmöglich/größenwahnsinnig und andererseits genau deshalb eine unangemessene Überforderung der Beraterin, weil nicht in deren Einflussbereich.
Unsere Intention ist „nur“, das Gegenüber angemessen zu „verstören“, d. h. auf Grundlage einer wertschätzend – im Moment des Fragens absichtslosen – aufmerksamen respektvollen Haltung einen Impuls auszusenden, der von der Kundin als anschlussfähig – also das Erreichte anerkennend und neuartig zugleich – erlebt werden kann und für diese womöglich eine „Information“ im Sinne von Gregory Bateson ausmacht, also einen „Unterschied, der einen Unterschied macht“.
Fragen nach Ausnahmen
Fragen nach Ausnahmen sind für Kunden besonders dann gut anschlussfähig, wenn diese bereits Hinweise auf Zeiten gegeben haben, „wo etwas besser war“ bzw. wenn „störungsfreie“ Zeiten erwähnt wurden. Ausnahmezeiten können aber auch von der Beraterin herbeigefragt werden, etwa: „Wann in den letzten Wochen bzw. Monaten gab es denn Zeiten, in denen das Problem nicht oder weniger stark/oft aufgetreten ist?“.
Ausnahmezeiten können wundervolle Ressourcen für künftige Lösungen darstellen und betonen die bereits gezeigten Kompetenzen und Möglich- bzw. Fähigkeiten des Gegenübers. Wichtig ist dabei nachzufragen, welches Verhalten die Kundin in der Ausnahmesituation an den Tag gelegt hat, um einen Impuls zu ermöglichen, „vom Problem-Opfer zur Lösungs-Täterin“ zu werden. Beispielsweise könnten folgende Fragen womöglich hilfreich sein:
- „Wann in den letzten Wochen bzw. Monaten gab es Zeiten, in denen das Problem nicht oder weniger stark/oft aufgetreten ist?“
- „Was genau war da anders?“
- „Was haben Sie da anders gemacht?“
- „Und was noch?“
- „Wie haben Sie das geschafft?“
Fragen nach dem „Was noch?“
„Was noch?“-Fragen sollen das Gegenüber zum Nachdenken ermutigen und regen oft erstmals dazu an, noch „weiter“ zu denken als bisher. Damit kann der Kunde oftmals ein hohes Maß an Kreativität – vor allem in Bezug auf Details der Ausnahmen – entwickeln. In meiner Beratungspraxis habe ich häufig erlebt, dass Fragen wie etwa „Und wann war es noch besser?“ und „Was fällt Ihnen noch ein, was Sie da anders gemacht haben?“ – respektvoll und freundlich gefragt – auch wiederholt von mir gestellt werden konnten und die Kundin bei der Unterschiedsgenerierung zu unterstützen vermochten.
Hinweise aus meiner Praxis
- Gerade zu Beginn des Gesprächs genau auf mögliche Ausnahmezeiten bzw. -situationen hören (Aufnehmen der Schlüsselwörter).
- Die Einzelheiten der Ausnahmezeiten bzw. -situationen erfragen.
- Das unterschiedliche Verhalten des Kunden in Ausnahmezeiten bzw. -situationen durch Nachfragen (re-)konstruieren helfen.
- Alternatives Verhalten der Kundin in Ausnahmesituationen bzw. -zeiten explizit hervorheben und als vorhandene und eingesetzte Ressoucen und Kompetenzen würdigen.
- Freundlich und geduldig „Und was noch?“-Fragen stellen.
Abschließend möchte ich Sie dazu ermuntern, mit der Kundin nicht „auf halbem Weg“ stehen zu bleiben. Was das bedeutet? Nun, stellen Sie sich vor, Sie erhalten auf die Frage, wann es denn besser gewesen ist, die Antwort: „Als mein Chef auf Urlaub war.“ Diese könnte im ersten Augenblick als „Ende der Reise“ erscheinen. Auf den zweiten Blick aber bietet sich auch hier die Frage „Was genau war da anders?“ an. Auch wenn die Kundin mit Erstaunen antworten sollte, dass „er da eben weg war und ich mehr Freiraum hatte“ – kann die anschließende Frage, was die Kundin mit diesem Mehr an Freiraum denn in diesen Zeiten anders gemacht hat, sehr hilfreich sein. Und die Lösungsreise kann womöglich weitergehen. Vielleicht gibt es ja dann Ideen, wie sich die Kundin auch in Zeiten der Präsenz ihres Chefs mehr Freiraum schaffen könnte, wer weiß…
Ganz zum Schluss: Weil etwas in der Vergangenheit in einem bestimmten Zusammenhang funktioniert hat, heißt noch nicht, dass es auch im gegenwärtigen Kontext funktioniert bzw. funktionieren wird. Es ist anzuraten, eine Frage wie etwa: „Wenn jemand, der Ihnen wohlgesonnen ist, Ihnen die Frage stellen würde, welche Hindernisse für das erfolgreiche Verhalten sich gegenwärtig dennoch zeigen könnten, was würden Sie ihm antworten?“ zu stellen. Oder, wenn Sie es lieber einfacher haben: „Welche Hindernisse könnte es trotzdem geben?“.
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