Dies ist der 1. Teil der Serie zum Begriff der „Ökologischen Ohnmachtskompetenz“.
Ökologischer Grundkonsens
In den letzten Jahrzehnten hat sich so etwas wie ein „Grundkonsens“ zur ökologischen Frage entwickelt, der in etwa so lautet: Westliche kapitalistische Wachstumsgesellschaften und die von ihren Bürgerinnen und Bürgern an den Tag gelegten konsumorientierten Lebensstile sind nicht nachhaltig. Es werden begrenzte Ressourcen verschwendet, wodurch viele und immer drängendere Umweltprobleme verursacht werden.
Die Folge sind ökologische, soziale und ökonomische Krisen, denen auf nationaler Ebene nicht erfolgreich begegnet werden kann, weshalb internationale Kooperation und Aktion für notwendig erachtet werden. Da das Überleben der gesamten Menschheit bedroht ist, lautet die Forderung: „Weitermachen wie bisher ist keine Option – Wende oder Ende!“.
Bis vor kurzem noch war das vorherrschende Narrativ, dass es alternativlos wäre, die Probleme früher oder später anzugehen (und so ist es schon seit Jahrzehnten „5 Minuten vor 12“, seit 22. Jänner 2025 steht die Weltuntergangsuhr nunmehr auf „3 Minuten vor 12“). Im wissenschaftlichen Diskurs werden Kipppunkte im Klimasystem mittlerweile breit diskutiert. Als Ziele der notwendigen Veränderungen werden der Erhalt der natürlichen Umwelt und ein „gutes Leben für Alle“ (Martha Nussbaum) ausgerufen.
Hoffnungsnarrative
Schon an dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass solche Hoffnungsnarrative („Wir sind auf einem guten Weg“, „Die Nachhaltigkeitstransformation hat schon begonnen“, „Wir leben am Beginn der Nachhaltigkeitsgesellschaft“, usw.) schon seit Jahrzehnten in nahezu unveränderter Form wiederholt und mit großem moralischem und politischem Engagement vorgetragen werden. Bei sämtlichen Forderungen und (zurecht) erhobenen Zeigefingern und Appellen liegt jedoch ein Fehlschluss von der dringlichen Notwendigkeit auf die Möglichkeit vor. Nennenswerte Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturprinzipien, Logiken und Dynamiken sind jedoch nicht auszumachen, aktivistische erschöpfte und erschöpfende Transformationsnarrative dienen mittlerweile vor allem der „Gläubigenmobilisierung“.
Gesellschaftliche Praxis
Ein paar Beispiele für die „nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ (Ingolfur Blühdorn) auf unterschiedlichen „Flughöhen“ gefällig?
- Die Reduktion des menschlichen Einflusses auf die Biosphäre wurde bislang nicht nennenswert betrieben – bei gleichzeitigem Beschwören der Einhaltung international vereinbarter Klimaziele.
- Das Thema der sozialökologischen Transformation ist innergesellschaftlich ein großes Polarisierungs- und Spaltungsthema geworden – ist etwa ein Tesla für die einen ein Mittel der ökologischen Distinktion und Ausdruck ihres ökologischen Bemühens, ist das Wort „Klimaschutz“ für die anderen gleichzusetzen mit einem antisozialen Programm privilegierter Eliten.
- Bürgerinnen und Bürger der „neuen Mittelklasse“ haben oft zugleich ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Nachhaltigkeitsbewusstsein sowie entsprechenden missionarischen Eifer gepaart mit einem besonders ressourcenintensiven Lebensstil.
- Der bevorzugte Konsum ökologischer Produkte und die Teilnahme an Demonstrationen für Klima- und Umweltschutz einerseits sowie die Weltreise per Flugzeug im Rahmen eines „Gap year“ und Wochenenden in Paris zwecks ausgedehntem Einkaufserlebnis lassen sich in fluiden Identitätsarrangements jüngerer Menschen durchaus unter einen Hut bringen.
Zeitenwende
Angesichts der jüngsten Entwicklungen stehen die westlichen Gesellschaften selbst an einem möglichen „Tipping Point“, am Beginn einer Zeitenwende. War es mittels der gesellschaftlich breit getragenen Etikettierung der Aktionen der „Letzten Generation“ als „Klimaterror“ endlich möglich geworden, den nicht-nachhaltigen Status quo – gesellschaftlich akzeptiert – zu verteidigen (was mit Gefühlen der Befreiung und Erleichterung einherging) und Forderungen nach Selbstbeschränkung als Angriff auf die persönliche Freiheit und somit als unzumutbar zurückzuweisen, so ist nunmehr die Frage, wie in der gegenwärtigen Situation der „überforderten Gesellschaften“ (Armin Nassehi) Europas, wo es primär um die Fragen der militärischen Verteidigung und der Stimulation der Wirtschaft gehen wird, mit der Ökologie umgegangen werden wird.
Sozialwissenschaftlicher Zugang
Ja, ich werde mich mit meinen Ausführungen „in die Nesseln setzen“, ich werde mir viel Kritik seitens der „Umweltschriftsteller“ (Niklas Luhmann) einhandeln, ich werde ob angeblichen Pessimismus´ gebrandmarkt werden, vielleicht sogar als „Reaktionär“? Ich weiß es – und es geht für mich in Ordnung. Warum? Weil es aus meiner Sicht zunächst darum geht, die Welt zu beschreiben, Diagnosen zu stellen, für diese Erklärungen anzubieten – und dabei immer die Kontingenz der Normen im Auge zu behalten, auf welchen diese, also die Diagnosen wie die Erklärungen, fußen. Mir ist demnach zunächst ein „schonungsloses Draufschauen“ wichtig – weder pessimistisch dystopisch, noch optimistisch lösungshalluzinierend.
Ökologische Ohnmachtskompetenz
Unser Versuch, uns die Natur völlig verfügbar zu machen, führt zu ihrer Zerstörung – und schließlich konsequenterweise zu unserer Zerstörung. Unsere Allmachtsphantasie wird durch eine umfassende Ohnmacht abgelöst. Hier gilt es anzusetzen: Erst ein Bewusstsein um und für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ökologische Anstrengungen wird es aus meiner Sicht ermöglichen, wieder Ressourcen und Kompetenzen freizusetzen. Diese Basis für mögliche Veränderungen und Lösungsansätze mag ich an dieser Stelle bereits – mit einer neuen Begrifflichkeit – „Ökologische Ohnmachtskompetenz“ nennen.
Den zweiten Teil der Serie finden Sie hier.




Anmerkung: In den nächsten Wochen und Monaten werde ich mich hier im Blog fortlaufend der Analyse unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche und Dynamiken zum Thema widmen. Selbstverständlich wird es dazwischen auch Beiträge zur systemischen Beratung und Praxis geben.
PS: Was wäre, wenn Sie hier angeführte Bücher bei Interesse bei Ihrem lokalen stationären Buchhandel bestellen und erwerben würden? Es ist vielleicht kurzfristig etwas unbequemer, mittel- und langfristig erhalten Sie von Ihrer Buchhändlerin bzw. Ihrem Buchhändler aber – neben guten Gesprächen – wohl die eine oder andere unerwartete Buchempfehlung. Und vielleicht sogar einen Espresso beim Schmökern? Gibt es alles online nicht.
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