Ökologische Ohnmachtskompetenz: Annäherung an einen neuen Begriff


Bei Interesse lesen Sie zunächst diesen Beitrag. Dies ist der 2. Teil der Serie zum Begriff der „Ökologischen Ohnmachtskompetenz“.

Alles, was jetzt folgt, kann nur der Versuch einer Annäherung sein.

Von der „Nachhaltigkeit“ zur „Bewohnbarkeit“

Lassen Sie mich so beginnen: Wir Menschen sind zu einer geologischen Kraft geworden. Wir sind im geologischen Sinne eine „Naturgewalt“ und agieren als Hauptdeterminante der planetaren Umwelt. Daher wurde diesem neuen geologischen Zeitalter (beginnend mit dem Jahr 1945) auch der Name „Anthropozän“ gegeben (Paul J. Crutzen und Eugene F. Stoermer). Und wir Menschen schaffen es, jene parametrischen Bedingungen, die wir für unsere Existenz benötigen, massiv zu beeinträchtigen.

Bislang haben wir in den Kategorien Welt, Erde und Globus nachgedacht und in diesen Zusammenhängen etwa mit den Begriffen Naturschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit hantiert. Ergiebiger und „weiter“ erscheint da schon der Begriff der Ökologie, verstanden als Gesamtheit der Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt, vom Stoffhaushalt und den Energieflüssen, die das Leben auf der Erde möglich machen, und von den Anpassungen der Organismen an die Lebensbedingungen. Ökologisches Verhalten ist sohin auf den Erhalt und die Förderung dieser Gleichgewichts-Gesamtheit gerichtet.

In Zukunft gilt es jedoch – denn es macht einen großen Unterschied – denkerisch (auch) dem Planeten zu begegnen, eine Begegnung mit etwas, das die Bedingung der menschlichen Existenz ist und dieser Existenz doch zutiefst gleichgültig gegenübersteht. „Denn wir leben am Scheitelpunkt von Globalem und Planetarischem“ (Dipesh Chakrabarty).

Im Zentrum des Globalen stehen Menschen, hier geht es letzten Endes ausschließlich um Formen und Werte. Im Hinblick auf den Planeten aber ist die Besonderheit des Menschen nicht größer als jene anderer Lebensformen. Im globalen Denken ist die Idee der Nachhaltigkeit, ein ausschließlich menschenzentrierter Begriff (und zudem auch noch ein mit dem „grünen“ Kapitalismus so herrlich kompatibler), ein Schlüsselbegriff. Der Schlüsselbegriff des planetarischen Denkens ist hingegen „Bewohnbarkeit“. Zentrales Anliegen von Bewohnbarkeit ist das Leben, komplexes, vielzelliges Leben – und was dieses, und nicht menschliches Leben allein, zukunftsfähig macht. Es geht um die Frage, was einen Planeten zu einem freundlichen Umfeld für die dauerhafte Existenz komplexen Lebens macht. Jedenfalls müssen wir uns intensiv damit beschäftigen, dass nicht bloß die fossilen Brennstoffe, sondern zudem das Erdreich und vor allem die Biodiversität zu den nicht erneuerbaren Ressourcen zählen. Biodiversität ist wohl die wertvollste planetarische Ressource, der Regenerationszeitrahmen beträgt – wenn überhaupt – mehrere zehn Millionen Jahre.

Systemisches Scheitern

Der in den letzten Jahren entwickelte „Grundkonsens“ zur ökologischen Frage“ hat bislang nicht zu nennenswerten Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturprinzipien, Logiken und Dynamiken geführt. Sichtlich liegt ein Fehlschluss von der dringlichen Notwendigkeit der (sozial)ökologischen Transformation auf deren Möglichkeit vor. Mit der Vielzahl von Restriktionen für eine gelingende (sozial)ökologische Transformation und der mehrfachen „Unhaltbarkeit“ (Ingolfur Blühdorn) werde ich mich in weiteren Blogbeiträgen befassen. Ein paar erste Überlegungen finden Sie bei Interesse in diesem Beitrag.

Die Risikogesellschaft kommt unter Druck

Doch, es ist mittlerweile genug Druck da, er muss allerdings ernstgenommen werden. Immer noch wird Kontrollierbarkeit suggeriert, immer noch wird so getan, als ob kalkulierbare beherrschbare Risiken vorlägen. Zum Verständnis: Risiko ist die Antizipation der Katastrophe (oder Apokalypse) in der Gegenwart – mit dem Ziel, diese zu verhindern. Das macht die Besonderheit des Risikobegriffs aus. Die „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) ist keine Katastrophengesellschaft, sie ist sogar eine Hoffnungsgesellschaft, denn in der Risikogesellschaft geht es darum, noch im letzten Moment einen Ausweg zu finden, eine alternative Erzählung, wodurch die Verhältnisse in Bewegung geraten, sozusagen „ins Tanzen kommen“ (Ulrich Beck).

Übrigens setzt Risiko Entscheidung voraus. Nur dort, wo jemand entscheidet und dadurch Folgen auslöst, kann man von Risiko sprechen. Wir lösen im Anthropozän durch unser Verhalten Folgen aus, die wir nicht mehr Lösungen zuführen können, auf die wir auch nicht vorbereitet sind. Es sind Folgen, die unsere bisherigen institutionellen Voraussetzungen, ihnen zu begegnen, infrage stellen. Die Moderne ist also so erfolgreich, dass sie Folgen auslöst, die weder auf einen Raum begrenzt sind noch auf eine bestimmte Zeitspanne, noch etwa in einem überschaubaren sozialen Kontext angesiedelt sind. Betroffen sind auch und gerade Generationen, die selbst Jahrzehnte später noch nicht einmal geboren sind. Wir haben es also mit einer neuen Dimension der Entgrenzung von Katastrophen zu tun, die wir nicht mehr mit unserem bisherigen institutionellen und kognitiven Instrumenten bewältigen können.

Man kann auch formulieren, dass die Dialektik von Risiko und Versicherung nunmehr ausgehebelt ist. Wir sind jenseits der Versicherungsgrenze. Auch versagen die Instrumente der Zurechnung, was Ulrich Beck als „organisierte Unverantwortlichkeit“ bezeichnet. Hinzu kommt die Nichtkompensierbarkeit. Globale Risiken (oder besser Gefahren oder Katastrophen?) sind zudem verwandt mit Nichtwissen. Auch die Expertinnen und Experten im Bereich der Erdsystemwissenschaften wissen nicht, was die Zukunft tatsächlich bringt (Stichwort „Kipppunkte“). Wie darauf reagiert wird? Wird die Apokalypse als tödliche Gefahr in Kauf genommen, wenn der Orientierungspunkt bloß noch „Resilienz“ heißt? Wird in einem Zustand kognitiver Dissonanz das Antizipieren der Katastrophe – also das Denken in Risiken – aufgegeben?

Verzweiflung, Ausnahmezustand, Hoffnung

Aus all dem ergibt sich ein Bedarf nach Hoffnung (vgl. diesen Beitrag). Der Hoffnung ist die Verzweiflung – und somit Negativität – eingeschrieben. Verzweiflung wächst im Angesicht des Ausnahmezustands, der Erkenntnis, über keine Geschichte zu verfügen, die in die Zukunft tragen kann. Es könnte behauptet werden, dass die Hoffnung umso intensiver wird, je tiefer die Verzweiflung ist, doch ist die Hoffnung nicht selbstverständlich vorhanden. Sie muss vielmehr oftmals eigens herbeigerufen, ja beschworen werden. Sie setzt also ein Engagement voraus, was wiederum zunächst das Vorhandensein und Aufbringenkönnen von Energie für dieses Engagement bedingt. Andernfalls kann das Abgleiten in die Depression drohen. Im Gegensatz zur Angst hat die Hoffnung etwas Versöhnliches, sie verbindet Menschen, anstatt sie zu vereinzeln. Sie erschließt der Wirklichkeit ihre künftigen Möglichkeiten. Das Aufbieten der oben genannten Energie gelingt besser in Verbundenheit mit anderen Menschen – das Subjekt der Hoffnung ist ein Wir, die Hoffnung ist eine (gemeinsame) Sehnsuchtsform. Hoffnung lässt sich beschreiben als Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Sie ist unabhängig vom Ausgang der Dinge.

Ohnmachtskompetenz

Mit dieser ist – systemisch – zu fassen gemeint, dass Ohnmacht in politischen, ja sämtlichen komplexen Entscheidungssystemen immer gleichmäßiger verteilt wird und in der Folge immer gleichmäßiger zur Illusion von Macht verführt. Dies bereitet Ideologien und Identitätskonflikten in immer mehr Gesellschaftsbereichen das Feld. Das Austauschen der Erfahrung, dass die Forderungen, Lösungen bereitzuhalten, oftmals systemisch zum Scheitern verdammt sind, und das gemeinsame Nachdenken über die diversen Restriktionen und Rahmenbedingungen für ökologische Anstrengungen – idealerweise in Form transdisziplinär zusammengesetzter „Runder Tische“ – könnte viel Energie auf Basis gemeinsamer Hoffnung freisetzen.

Diese Energie ist, neben dem bereits vorhandenem Druck, den es ernstzunehmen gilt, evolutionär unabdingbar für das Freisetzen von Kreativität – und diese ist ein (Über-)Lebenselixier und -programm, auch und gerade für Gesellschaften. Ohne spürbaren Druck und Energie wird nur das Bestehende „verlängert“, wird nur reproduziert, nicht transformiert. Fehlt es an Druck, so fehlt es an Motivation, sich zu bewegen. Bewegung erfordert jedoch wiederum Energie, um die Trägheit von Systemen (und die Verlustaversion) zu überwinden.

Kreativität wiederum hat mit Unbestimmtheit zu tun – und Ohnmachtskompetenz ist hier von zentraler Bedeutung. Damit werden neue Perspektiven eröffnet, werden Dinge greifbar, die vorher undenkbar schienen. Es werden neue Begrifflichkeiten entwickelt, woraus neue Handlungsmöglichkeiten destilliert werden können: Neue Ideen, von denen vorher niemand zu träumen wagte.

Den 3. Teil zur Serie finden Sie hier.

PS: Was wäre, wenn Sie hier angeführte Bücher bei Interesse bei Ihrem lokalen stationären Buchhandel bestellen und erwerben würden? Es ist vielleicht kurzfristig etwas unbequemer, mittel- und langfristig erhalten Sie von Ihrer Buchhändlerin bzw. Ihrem Buchhändler aber – neben guten Gesprächen – wohl die eine oder andere unerwartete Buchempfehlung. Und vielleicht sogar einen Espresso beim Schmökern? Gibt es alles online nicht.


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