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Das Subjekt: Emanzipation, Individualisierung und flüssige (situative) Identitätsarrangements/B


Dies ist der vierte Beitrag zum Thema „Ökologische Ohnmachtskompetenz“. Bei Interesse können Sie gerne zuvor die ersten drei Teile – Teil 1, Teil 2, Teil 3 – lesen.

Im letzten (Teil A) sowie in diesem Beitrag beschäftige ich mich mit dem flüchtig-flüssigen Ich (oder sollte es treffender schon als „gasförmig“ bezeichnet werden?) in der spätmodernen Gesellschaft, welches eine der maßgeblichen Restriktionen für eine gelingende (sozial)ökologische Transformation darstellt.

Befreiung aus der Verpflichtung zur Mündigkeit

Nach dem Auszug des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit scheint es in der Spätmoderne (als Abschnitt der zweiten Moderne, das Eintreten in eine dritte Moderne gilt es abzuwarten) nahtlos in die Befreiung aus der Verpflichtung zur Mündigkeit zu gehen. War vormals die Idee der selbstbestimmten Lebensführung um die Vorstellung ergänzt worden, dass Vernunft, Natur und Gemeinwohl so etwas wie „natürliche Grenzsteine“ für die dem Subjekt eröffneten Spielräume darstellten, womit für eine zumindest in den Grundzügen verallgemeinerbare verträgliche Lebensführung und Glücksvorstellung gesorgt wäre, so erweisen sich in der Spätmoderne Selbstentfaltung, Selbstwachstum und Selbstoptimierung als zentrale kulturelle Maximen.

Wie lässt sich das erklären? Einerseits dehnt sich der Selbstbestimmungsanspruch auf immer mehr Sphären des Lebens aus, andererseits verlieren damit die Grenzsteine Vernunft, Natur und Gemeinwohl ihre Plausibilität. Die Befreiung aus der Verpflichtung zur Mündigkeit ist die Folge.

Der Umbau der institutionellen Sphären braucht autonom handlungsfähige Subjekte

Zudem hat sukzessive ein Umbau der Institutionen stattgefunden, die nunmehr – nach je individuellen Vorlieben – autonom handlungs- und entscheidungsfähige Subjekte benötigen. Diese werden demnach Zug um Zug zum funktionalen Erfordernis moderner Institutionen. Die zeitliche Deregulierung (etwa Arbeit-Freizeit) und Ent-Institutionalisierung vieler Handlungsfelder steigert massiv den Aufwand des Subjekts für Planung, Koordination und Synchronisation der alltäglichen Handlungssequenzen und wird als Zeitnot und Stress erlebt.

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Das Subjekt: Emanzipation, Individualisierung und flüssige (situative) Identitätsarrangements/A


Dies ist der dritte Beitrag zum Thema „Ökologische Ohnmachtskompetenz“. Bei Interesse können Sie gerne zuvor die ersten beiden Teile – Teil 1, Teil 2 – lesen.

In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit dem flüchtig-flüssigen Ich in der spätmodernen Gesellschaft, welches eine der maßgeblichen Restriktionen für eine gelingende (sozial)ökologische Transformation darstellt.

Immanuel Kant und der kategorische Imperativ

Immanuel Kant (1724-1804) hat mit dem Ideal des autonomen Subjekts das Projekt der Emanzipation begründet. Seine Vorstellung ist jene vom „Auszug des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Er fordert das Individuum zum selbstständigen Vernunftgebrauch auf und geht von dessen freien Willen, seiner Würde und ihm zustehenden unantastbaren Grundrechten aus. Allerdings ist für ihn die Aufklärung keine individuelles Projekt, sondern vielmehr ein Menschheitsprojekt.

Seiner Vorstellung nach geht es nämlich um die Befreiung und Verwirklichung des Vernunftwesens, das – nun mündig – die Befähigung hat, sich individuell und kollektiv so zu verhalten, dass man „von der Maxime des eigenen Handelns stets wollen könne, dass sie allgemeines Gesetz werde.“ Diesem Denken ist also ein gemeinsamer Horizont kollektiver Vernunft inhärent, die Selbstverwirklichung des Individuums ist begrenzt durch den Rahmen der kollektiven Selbstbestimmung – und zugleich Selbstbegrenzung. Dieses kantisch-rationalistische Emanzipationsverständnis ist dem Kampf gegen Aberglauben, Irrationalität, Faulheit und Bequemlichkeit gewidmet und von der Hoffnung auf eine kosmopolitische Gesellschaft und auf ewigen Frieden getragen.

Autonomie wird dem Menschen demnach nur zugesprochen, wenn er als mündig und somit als vernunftbegabtes Wesen betrachtet werden kann. Diese Mündigkeit wird als untrennbare Einheit zweier gleichrangiger Elemente, nämlich von Freiheit und Verpflichtung auf die Vernunft, gesehen. Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung werden hier verstanden als vor allem innerlich-moralische, als Vernunftbestimmtheit, als kollektiv-egalitär und schließlich als ökologisch-inklusiv (siehe dazu weiter unten).

Es kann in diesem Zusammenhang von der „philosophischen Moderne“ gesprochen werden, wobei dieses Kant´sche regulative Ideal als normativer Referenzpunkt mehr oder weniger durch die erste Moderne (klassische Industriegesellschaft) bis weit in die zweite Moderne (postindustrielle Gesellschaft) hinein trägt.

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